Dem Tod ins Auge blicken

photo by Sarah Bach

Meine grösste Angst

Einer meiner grössten Ängste ist, dass meine Liebsten von mir Gehen, ohne zu wissen, wie viel sie mir bedeutet haben. Wie dankbar ich bin, dass sie in meinem Leben waren. Wie sehr ich sie geschätzt habe.

Ich habe viel and dieser Angst gearbeitet. Habe versucht, ihr ins Gesicht zu schauen und sie als Lehrer zu sehen. Ich versuche, meinen Liebsten so oft wie möglich zu kommunizieren, wie sehr ich sie liebe. Ich kommuniziere dies auf meiner Liebessprache - mit Worten. Da es mir manchmal schwer fällt, meinen Familienmitgliedern oder Liebsten direkt zu sagen: Ich habe dich lieb, fasse ich es in Worte. So dürfen wir alle unsere Wege der Liebeskommunikation finden. Es gibt hier kein besser oder falsch - es gibt nur deine Art dich auszudrücken. Das Wichtigste ist, dass wir es tun, denn oft gibt es da auch die Angst vor Zurückweisung, wenn wir uns in diese vulnerable Position hervorwagen. So paradox es klingt, können wir gleichzeitig Angst haben vor dem Nicht Ausdrücken der Liebe und vor dem Ausdrücken der Liebe.

die Allgegenwäertigkeit des Todes

In den letzten Monaten wurde ich drei mal auf überwältigende Weise an die Allgegenwärtigkeit des Todes erinnert. Die Geburt meiner Tochter war für mich ein Zusammentreffen von Tod und Geburt, wie ich sie zuvor noch nie erlebt habe. Ungefähr zur gleichen Zeit hatte mein Vater mit einer gesundheitlichen Herausforderung zu kämpfen, die am Anfang mit viel Unsicherheit einherging. Vor ein paar Tagen traf mich der grösste Schock meines Lebens - als das Leben einer meiner nahestehendsten Familienmitgliedern an einem seidenen Faden hing. Noch nie zuvor hatte ich solche Angst in meinem Leben. Selten habe ich so geweint.

Obwohl wir es uns bewusst sind, dass der Tod mich oder dich jederzeit besuchen könnte, leben wir doch oft ein wenig vor uns hin und nehmen das Leben als selbstverständlich hin. Wir wollen der Dunkelheit des Todes nicht ins Auge blicken, doch auch die Helligkeit des Lebens blendet uns manchmal. Und so leben wir manchmal in der Grauzone und wagen uns nicht, diese scheinbare Sicherheit des Graus zu verlassen. Wir stecken im Verändern wollen der Vergangenheit fest oder widmen uns den Gedankreisen von einer besseren Zukunft.

Drakpa Gyaltsen, ein Meister des 12ten Jahrhunderts, schrieb:

“Die Menschen verbringen ihre ganze Zeit mir Vorbereiten, Vorbereiten, Vorbereiten - um dann dem Leben gänzlich unvorbereitet zu begegnen.”

Wenn wir jedoch wach den Blick durch die Welt schweifen lassen, sehen wir, dass der Tod allgegenwärtig ist. Die Natur zeigt uns jedes Jahr aufs Neue wie die Blätter welken, ihre Farben ändern und von den Bäumen auf die Erde fallen, um da durch den Einfluss von Gewitter und der Hilfe von Tieren zersetzt zu werden. Der Tod ist immer auch ein Neuanfang. Tod und Geburt gehen Hand in Hand. Vor dem einen haben wir oft Angst, das andere zelebrieren wir.

Ich versuche, mich immer wieder daran zu erinnern, den Tod als Lehrer zu sehen. Wenn ich dem Tod ins Auge blicke, nimmt das Leben einen anderen Stellenwert ein. Denn jetzt gerade lebe ich. Atme ich. Jetzt gerade bin ich gesund - und das ist ein riesiges Geschenk. Jetzt gerade kann ich mein Leben gestalten. Jetzt gerade kann ich meine Dankbarkeit und Liebe ausdrücken. Jetzt gerade kann ich mich fragen:

Was ist mir wirklich wichtig? Was zäehlt wirklich im Leben?

Der Tod hilft uns das Leben wirklich ernst zu nehmen. Obwohl wir das alle wissen, vergessen wir es im Strudel des Alltags gerne.

Das Leben zu schätzen, heisst nicht unbedingt, es auf der Basis auf der Basis von FOMO (fear of missing out), mit Aktivitäten vollzufüllen. Das Leben zu schätzen, heisst, meinem inneren Kompass zu folgen. Meinen Werten Raum zu geben. Und vor allem heisst es - mit offenem Herzen zu leben und zu lieben. Oft ist weniger mehr - obwohl uns die Werbung gerne andere Illusionen verkauft. Es geht auch nicht um Perfektion oder darum, dein ganzes Leben umzukrempeln. Es geht darum, dem Ruf deines Herzens Gehör zu schenken.

Am Ende (wann auch immer das sein wird) werden wir nicht auf unser Leben zurückblicken und uns an unseren vollen Terminkalender oder all die schönen Sachen erinnern. Am Ende werden wir uns fragen: Wie sehr habe ich gelebt? Wie sehr habe ich geliebt?

5 Dinge die Sterbende am meisten bereuen

Bronnie Ware lässt uns in ihrem Buch “5 Dinge die Sterbende am meisten bereuen” an ihren Erfahrungen in der Sterbebegleitung teilhaben. Die folgenden 5 Versäumnise schrieb sie in packenden Geschichten nieder, damit wir Lebenden uns Zeit unseres Lebens daran erinnern dürfen:

Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu bleiben, statt so zu leben, wie andere es von mir erwarteten.

Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet.

Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen.

Ich wünschte, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden gehalten.

Ich wünschte, ich hätte mir mehr Freude gegönnt.

Vielleicht findest du dich dich in einer dieser Versäumnise wieder. Dann geht es nicht darum, dich dafür zu verurteilen, sondern langsam dein Leben wieder in sich für dein Herzen stimmig anfühlende Bahnen zu lenken. In kleinen Schritten und ungeraden Wegen.

Der Tod zeigt uns immer wieder den Weg zurück - zurück zu dir, deinem Herzen und dem was dir wirklich wichtig ist.

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“Courage is not the absence of fear, courage is fear walking.”

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